
Menschen produzieren Töne, indem sie Luft durch den Kehlkopf strömen lassen. Durch das Öffnen und Schließen der Stimmlippen entstehen Luftpakete und Kehle, Zunge und Lippen formen daraus unterschiedliche Laute. Die Tonbildung der Wale entsteht auf vollständig anderem Weg.
Bartenwale wie die Buckel- und Blauwale besitzen zwar einen Kehlkopf – allerdings ohne Stimmbänder. Für ihren Gesang müssen sie nicht ausatmen, um Töne zu produzieren, sondern die Luft strömt durch eine gebogene Struktur im Kehlkopf, sodass sie die Luft wiederverwenden können, ohne Wasser einzuatmen.
Wasser ist das ideale Medium für Musik, da es den Schall aufgrund seiner höheren Dichte fünfmal schneller als Luft leiten kann. Diesen Effekt nutzen Wale und andere Meeressäuger für eine Kommunikation über Laute, weil die visuelle Wahrnehmung durch die begrenzte Sichtweite unter Wasser begrenzt und der Geruchssinn aufgrund der relativ langsamen Verteilung von Stoffen im Wasser fast unmöglich ist.
Als Walgesang wird die Kommunikation der Wale durch Laute bezeichnet und bestehen vorhersehbaren und sich wiederholenden „Strophen“, mit denen sie kommunizieren. Ihr „Gesang“ ist insofern vergleichbar mit dem Vogelgesang und mit dem Gesang des Menschen.
Die original sehr tiefen Frequenzen im Infraschallbereich (unterhalb von 20 Hz) sind eine Anpassung an die physikalischen Gegebenheiten unter Wasser, weil bei den großen Distanzen, die der Walgesang überbrückt, der Intensitätsverlust tiefer Töne geringer ist als derjenige hoher Töne.
Walgesang wird selten per Kontaktmikrofon als Körperschall eines einzelnen Wals aufgenommen, sondern zumeist als Wasserschall durch ein Unterwassermikrofon. In öffentlichen Vorführungen wird der Gesang der großen Walarten häufig mit mehrfacher Geschwindigkeit abgespielt, um die für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbaren tiefen Frequenzen hörbar zu machen.
Diese tiefen Schwingungen sind für den Menschen zwar nicht hörbar, sie schwingen jedoch mit unserem Körper mit. Solche tiefen Frequenzen können beruhigend auf das Nervensystem wirken und helfen, Stress und Spannungen im Körper zu lösen.
Insbesondere Buckelwale sind für ihre komplexen melancholisch wirkenden Gesänge bekannt. Diese „Troubadoure der Meere“ werden bis zu 16 Meter lang, über 40 Tonnen schwer und können bis zu 50 Jahre alt werden. Sie verfügen über die größten Gehirne aller Lebewesen auf diesem Planeten.
Mehrere Studien, darunter bahnbrechende Arbeiten aus den 1970er Jahren des amerikanischen Zoologen und Aktivisten Roger Payne (1935 – 2023), haben gezeigt, dass Buckelwale hauptsächlich zwei Arten von Gesängen verwenden. Social sounds dienen der Verständigung zwischen Müttern und ihren Kälbern. Dazu verwenden die „Wal-Mamas“ kurze schnelle Laute, die für uns Menschen kaum hörbar sind. Die klassischen Whalesongs sind oft minuten-, manchmal stundenlang und werden von den Bullen gesungen, die bei maximaler Intensität hunderte Kilometer zu hören sind.
Ein Buckelwal komponiert sein Lied über viele Jahre und wenn es ausgereift ist, kann es fünf bis sieben musikalische Themen enthalten. Diese sind nicht kürzer als ein „menschlicher“ Schlager, aber auch nicht länger als ein Satz in einer klassischen Symphonie – vielleicht auch, weil Wale eine ähnliche Aufmerksamkeitsspanne wie wir Menschen haben. Sie verwenden nicht nur – wie wir – sieben Oktaven, sondern auch konkrete Töne einer Skala und ähnliche Intervalle. Auch der Liedaufbau und das Mischungsverhältnis zwischen Rhythmus und Melodieteilen entsprich in etwa dem menschlicher Komponisten.
Laut Forschungen wie denen von Ellen Garland (geb. 1950) entwickeln und übertragen Buckelwale neue Gesangsstrukturen – eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zur musikalischen Kreativität beim Menschen. Diese Lieder scheinen nicht zufällig zu entstehen, denn die musikinteressierten Wal-Damen bevorzugen „neu komponierte“ Melodien. Darauf reagieren die anderen Männchen, indem sie das neu angekommene Lied nachsingen, so dass der ursprüngliche Komponist bald an Attraktivität verliert.
Wenn das Lied eines Männchens zum Stammrepertoire des Buckelwal-Männerchores gehört, suchen einzelne von ihnen mit ihrem Song neue Reviere auf, in denen das Lied noch nicht bekannt ist. – So gibt es „Hits des Jahres“, die ein Jahr später wieder von der Bildfläche verschwinden, aber auch „Evergreens“, die immer wieder aufgegriffen werden.
In früheren Zeiten konnten sich Blauwale von Pol zu Pol verständigen, was für diese seltenen Tiere auch wichtig war, um weit entfernte Artgenossen zu finden. Der amerikanische Bioakustiker Christopher Clark (geb. 1960) hat mit Hilfe der US-Marine herausgefunden, dass sie tatsächlich über tausende von Kilometern Ozean miteinander kommunizieren.
Heute ist ihnen das aufgrund der akustischen Lärmverschmutzung und des menschlichen Unterwasserlärms wie Schiffsgeräusche, seismische Erkundung, Bohrungen, Sprengungen, Fischerei, industrielle und militärische Geräusche kaum mehr möglich. Und immer öfters kommt es vor, dass ganze Gruppen von Walen die Orientierung verlieren und an Küsten stranden, wo sie hilflos verenden.
Forschungen von Dr. Alan Lomax, einem Anthropologen und Musikexperten, haben ergeben, dass insbesondere niederfrequente Wellen therapeutisch auf den menschlichen Körper wirken. Klänge mit langsamen, gleichmäßigen Rhythmen – ähnlich den Walgesängen – reduzieren nachweislich Stress und beruhigen das autonome Nervensystem. Dies erklärt, warum viele Menschen bei Walgesängen Entspannung und emotionales Wohlgefühl verspüren – Effekte, die auch bei der Klangtherapie erzielt werden.
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