In unserem Alltag sind viele Phänomene eindeutig vorhanden, auf die wir aber materiell nicht einwirken oder sie gar anfassen können. Licht ist beispielsweise eindeutig vorhanden, man kann aber keinen direkten Einfluss darauf nehmen. Wärme lässt sich nicht bezweifeln, obwohl sie in der materiellen Welt nicht greifbar ist. Klänge und Geräusche sind zweifellos hörbar, wir können sie aber nicht sehen oder gar berühren. Darüber hinaus gibt es weitere „Dinge“, von denen man weiß, dass sie vorhanden sind, die sich aber ganz unseren Sinnen entziehen.
Der österreichische Biologe und Buchautor Dipl.-Ing. Clemens G. Arvay (1980 – 2023) beschäftigte sich in seinem Buch „Der Biophilia-Effekt“ mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Dieser Begriff wurde erstmals 1964 in einem Buch von Erich Fromm erwähnt und setzt sich zusammen aus den griechischen Begriffen bios und philia – Leben und Liebe. Dafür zeigt er den gesundheitsfördernden Effekt des Kontakts mit Pflanzen, Tieren und Landschaften auf und bezieht sich auf das 900jährige Wissen der Hildegard von Bingen:
„Im 12. Jahrhundert schrieb die Benediktinerin und Gelehrte Hildegard von Bingen ihre Erkenntnisse über die Heilwirkungen der Wildpflanzen nieder, die sie „Grünkraft“ nannte. Sie wusste – ebenso wie der Bauern des Mittelalters, von denen sie einen großen Teil ihres Wissens vermittelt bekam – vom heilenden Band zwischen Mensch und Natur. Heute entdeckt die Wissenschaft atemberaubende Details und Tatsachen…“
Beim Waldbaden, das in Japan bereits als anerkannte Methode zur Vorbeugung von Krankheiten gilt, wird die Luft als „Heiltrunk zum Einatmen“ angesehen. Die gesundheitsfördernde Wirkung der Pflanzenkommunikation auf unser Wohlbefinden als eine sanfte Naturarznei wird voll akzeptiert – mit der „Nebenwirkung“, ein neues Bewusstsein für die tiefe Verbundenheit mit unseren grünen Mitbewohnern zu erhalten.
Dabei konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass regelmäßige Spaziergänge in Naturlandschaften deutlich stimmungsaufhellend, angstlösend und schmerzlindernd wirken. Stress, Anspannungen und körperliche Schwächen verschwinden schneller in einer überschaubaren Parkfläche mit Baumbestand und Sträuchern oder einem lichten Waldgebiet. Waldaufenthalte senken den Blutdruck, erhöhen die Lungenkapazität, wirken positiv auf das Herz-Kreislauf-System und schützen vor Diabetes und Fettleibigkeit, weil u.a. die Elastizität der Arterien verbessert wird.
Je tiefer wir dabei in den Wald eintauchen, desto intensiver reagiert unser Immunsystem auf die Sprache der Pflanzen. Unzählige Duftmoleküle, sogenannte "Terpene" werden ständig an die Luft abgegeben, um die umliegende Nachbarschaft z.B. über Schädlinge zu informieren oder um Insekten zur Bestäubung anzulocken. Diese chemischen Botenstoffe sind nicht nur zufällige Informationen, sondern zielgerichtet und detailliert genug, damit die Empfängerpflanze exakt darauf reagieren kann.
Die Forschungsergebnisse belegen auch, dass der menschliche Organismus ebenfalls auf die Botenstoffe der Natur reagiert, die übrigens in einer Höhe von 1,5 bis 2 Metern konzentrierter auftreten. Insbesonders unser Immunsystem steht in Kontakt mit der pflanzlichen Umgebung. Bereits nach zwei längeren Aufenthalten in einem Waldgebiet steigt die Zahl der Abwehrzellen im Blut um 50 Prozent und hält bis zu drei Wochen an. Und mit einem effizienteren Abwehrmechanismen sind wir besser gewappnet gegen Bakterien, Pilze, Viren und sogar Krebs.
Unser Immunsystem ist demnach in der Lage die Terpene bzw. chemischen Vokabeln der Pflanzen zu entschlüsseln und sie zugunsten unserer Gesundheit zu nutzen. 2000 Duftstoff-Vokabeln aus 900 Pflanzenfamilien kennt man mittlerweile:
„Betrachten wir den Wald für ein paar Augenblicke etwas anders als gewöhnlich. Betrachten wir ihn als einen großen, hoch komplexen Lebensraum, in dem tausende und abertausende Lebewesen miteinander kommunizieren. Die Kronen der Bäume sind dann Sendestationen, die Pflanzenbotschaften in die Luft hinaus funken. Die Blätter der Sträucher, Büsche, Ranken und Kräuter senden Pflanzenvokabeln aus, die von anderen Pflanzen und von Tieren aufgenommen werden. Im Erdreich geben Wurzeln Stoffe ab, die ebenfalls Botschaften enthalten und sie geben klickende Laute von sich, die das menschliche Ohr nicht hören kann. Die Pflanzen nehmen diese Laute als unterirdische physikalische Schwingungen wahr. Der Wald, so wie jeder andere natürliche Lebensraum, ist ein Ort der regen Unterhaltungen, der dichten Kommunikation.“
Die Heilkraft der Bäume hat auch deutlich positiven Einfluss bei psychosomatischen Erkrankungen, Depressionen oder chronischen Schmerzen. Denn bei Anspannung und Stress zieht es uns automatisch in die freie Natur, in die (vermeintliche) Stille des Waldes. Dort kann der Körper entspannen, die Gedanken ruhen und die Seele fühlt sich losgelöst von Alltagssorgen. Die Heilwirkung der Bäume und Pflanzen auf uns Menschen ist beachtlich. Siehe Blog "Naturgeräusche und der Herzschlag der Erde".
Was Hildegard von Bingen schon ahnte, aber damals selbst in ihren kühnsten Visionen vermutlich nicht abschätzen konnte, wird heute durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien durchleuchtet und aus dem Reich des Mysteriösen auf eine solide wissenschaftliche Basis gestellt. Der instinktive Wunsch nach gesunden, natürlichen Landschaften und unserem Bedürfnis nach der Verbindung mit einer "grünen" Umgebung wird für mich immer mit dem Begriff "Biophilia-Effekt", der Liebe zum Lebendigen, und mit Clemens Arvay verbunden bleiben.
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